NachSpielZeit

Fotos: Ulrike Zimmermann, Goerg Zolchow, Kevin Fuchs, 2022

Die Ausstellung NachSpielZeit widmete sich der Frage, wie wir unsere Städte und Viertel sehen, verstehen und wie wir mit ihnen interagieren. Die ausgestellten künstlerischen Positionen beschäftigten sich sowohl mit dem Status Quo als auch mit utopischen Potentialen des urbanen Raums.
Künstler*innen: Esther Ernst, MITKUNSTZENTRALE, ON/OFF, Orekari Estudio & Salomé Wackernagel, Santiago Cirugeda (Recetas Urbanas), Tobias Purfürst
Kurator*innen: Susanne Bosch, Georg Zolchow
9.11.2022-23.01.2023 rk – Galerie für zeitgenössische Kunst, Berlin

NachSpielZeit widmet sich der Frage, wie wir unsere Städte und Viertel sehen, verstehen und mit ihnen (künstlerisch) interagieren. Die ausgestellten lokalen und internationalen künstlerischen Positionen beschäftigen sich sowohl mit dem Status Quo als auch mit utopischen Potentialen des urbanen Raums. Ein Teil der künstlerischen Arbeiten nimmt direkt Bezug auf das Lichtenberger Fennpfuhl Viertel.

Der Blick auf unsere Städte und Viertel kann nicht mehr ohne die Berücksichtigung der globalen Veränderungen stattfinden. Klar ist, dass die Beibehaltung des Ist-Zustands („Alles soll so bleiben wie bisher“) für die Zukunft ausgeschlossen werden muss. Die Frage, die sich stellt, ist, wie die Transformationsprozesse gedacht und beeinflusst werden können. Dabei sind auch (transdisziplinäre) künstlerische Perspektiven von Bedeutung, weil durch sie Möglichkeitsräume sowie utopische Potentiale mit weit größerer Freiheit, unter direkter Einbindung lokaler Akteur*innen, ausgelotet werden können. In diesem Zusammenhang bekommt auch das Spielerisch-Experimentelle eine zentrale Bedeutung. Es schafft Räume, um Zusammenhänge und Situationen neu zu denken und ist ein Rahmen, um auch das Unmögliche mit einzubeziehen. Im urbanen Kontext kann es so gelingen, über den freien Umgang mit Vorgefundenem, mit Testen und Experimentieren aktuelle Situationen und neue Wege sichtbar zu machen  –  und dabei im Idealfall auch noch Spaß zu haben.

In NachSpielZeit sind sechs künstlerische Positionen eingeladen, die sich mit konkreten Kontexten und unterschiedlichen Perspektiven auf urbane Zusammenhänge beschäftigen.  Mit der Fähigkeit, Vorgefundenem und Zukünften eine Form zu geben, ermutigen die künstlerische Ansätze, sich am gemeinsamen Verstehen und Gestalten von geteilten Lebensräumen zu beteiligen.

Künstlerische Positionen

ON/OFF, Silver Surfer, Köln, 2021

Der Silver Surfer umfasst als zentrales Element die Umgestaltung einer defekten Rolltreppe in eine Rutsche. Das Projekt wurde von einer Jury bei der öffentlichen Ausschreibung Neue Zugänge zum Ebertplatz, Köln, ausgewählt. In der Unterführung schafft die Installation der Rutsche eine gänzlich neue, ungewohnte Funktion des Ortes. Seh- und Nutzungsgewohnheiten werden spielerisch gebrochen. So wird ein Blick auf einen anderen, freieren Umgang mit Stadt möglich gemacht.

Die Praxis des interdisziplinären Designstudios ON/OFF erforscht die Zwischenräume und Überschneidungen der städtischen Erfahrung, um die Bürger*innen in eine unmittelbare Beziehung zu ihrer Umgebung zu bringen. Indem sie mit unterschiedlichen Technologien und Werkzeugen experimentieren, sollen konventionelle Vorstellungen von der Bewohnung und gemeinsamen Nutzung von Raum in Frage gestellt werden. onoff.cc

Orekari Estudio & Salomé Wackernagel, Repensar la Periferia, Pamplona, seit 2017

Repensar la Periferia ist ein Langzeitprojekt, das sich der Reflexion über periphere Viertel in der spanischen Stadt Pamplona widmet. Es beschäftigt sich mit der Rolle der Kultur in diesen Vierteln, den Interaktionen innerhalb der Räume der Peripherie und die Beziehung zum Zentrum. Darüber hinaus zielt es darauf ab, die Notwendigkeiten, Anforderungen und Probleme zu untersuchen, mit denen die Bewohner*innen dieser Zonen täglich konfrontiert sind und zusammen mit ihnen an Lösungsvorschlägen zu arbeiten. Dazu gehört auch der kollektive Bau der aufblasbaren “burbuja” im Viertel Etxabakoitz als Veranstaltungsraum, der in der Ausstellung zu sehen ist. Orekari und Salomé Wackernagel boten damit den Bewohner*innen einen Lösungsversuch für fehlende Gemeinschaftsräume im Viertel. Der aufblasbare Raum wurde nach gemeinsamer Fertigstellung und Pilotphase an die Anwohner*innen übergeben und wird seither genutzt.

Die 2013 gegründeten Architekturkooperative Orekari Estudio & Salomé Wackernagel verfolgen die Idee, Projekte zu entwickeln, die mit Architektur, Territorium, Kunst und Kultur verbunden sind – immer unter einem sozialen und nachhaltigen Blickwinkel. Ohne auf konventionelle Bauprojekte zu verzichten, arbeiten Salomé Wackernagel und Orekari (Ioar Cabodevilla, Itxaso Iturrioz, Xabi Urroz) in der Welt der Partizipation, der kollaborativen Kunst und des Bio-Baus. Sie nutzen Architektur als Vehikel für Regeneration, städtischen Wandel und als treibende Kraft für den kulturellen und künstlerischen Wandel. orekari.coop und salomewackernagel.eu

Tobias Purfürst, Why Are You Here?, Berlin, 2022

Why Are You Here? ist eine Klanginstallation, die 2022 basierend auf Field-Recordings im Lichtenberger Fennpfuhl entstanden ist.

Abseits vom Verkehrslärm, der die einzelnen Gebiete des Fennpfuhls durchschneidet und klanglich voneinander trennt, finden sich zwischen den unterschiedlichen Plattenbautypen akustische Inseln.  Diese verleihen dem Außenbereich durch die Schallreflexionen der glatten Fassaden einen charakteristischen Nachhall, verstärken die Geräusche ihrer Mitbewohner*innen und tragen sie über die Plätze. Basierend auf Impulsantworten, die diese Hallräume akustisch nachmodellieren, wird die Installation zu einem klanglichen Träger für eine Komposition, die Aufnahmen des Alltäglichen der Menschen vor Ort mit Aufnahmen unterschiedlicher Naturräume in poetischer Weise fiktional für den Fennpfuhl zusammenführt und ihm neue Qualitäten zum Nachdenken und Entdecken verleiht.

Tobias Purfürst ist freischaffender Musikproduzent und Klangkünstler aus Berlin. Sein Arbeitsfeld erstreckt sich von experimenteller elektronischer Musik und Multimedia-Installationen bis hin zu Kompositionen und Sounddesign für Film, Videokunst und Performance. Klassisch ausgebildet am Klavier, hat er seinen musikalischen Ansatz durch das Programmieren von Sounds und dem Arbeiten an generativer Klangkunst erweitert und erschafft dadurch genreübergreifende Hörerlebnisse. tobiaspurfuerst.com

Santiago Cirugeda (Recetas Urbanas), Kuvas S.C., Sevilla, 1997

Die auf der Arbeit Kuvas S.C. basierende Postkarteninstallation steht beispielhaft für das Nutzen rechtlicher Grauzonen bei der Auseinandersetzung mit überbürokratisiertem öffentlichem Raum, in dem es kaum möglich ist, kurzfristig und unter Beteiligung von Bewohner*innen Lösungen für dringende Probleme zu finden. Im konkreten Fall konnte dem Mangel an Spielplätzen in einem Viertel von Sevilla wegen vieler Hürden nicht begegnet werden. Santiago Cirugeda hat daraufhin den rechtlichen Rahmen genutzt, einen Baucontainer aufzustellen, und ihn mit der Installation einer Wippe zweckentfremdet.

Die Arbeit von Recetas Urbanas beschäftigt sich im Kern mit der Stadt als Experimentierfeld und als Ort für die Lösung von Konflikten. Dabei sind Themen wie ephemere Architektur, Wiederverwendung von Materialien, Strategien für die Besetzung von Orten sowie Vermittlung und Partizipation von zentraler Bedeutung. Recetas Urbanas wurde 2008 von Santiago Cirugeda und Alice Attout gegründet. Die Umsetzung der Projekte erfolgt fast immer in Zusammenarbeit mit anderen Personen und Gruppen. recetasurbanas.net

MITKUNSTZENTRALE, Kiosk mit Pilzmaterialrecherche und Posterreihe, Berlin, 2021

Der Kiosk der MITKUNSTZENTRALE, der als Modul für den direkten Informationsaus-tausch schnell auf- und umgebaut und befüllt werden kann, schafft einen Raum für vielfältige Themensetzungen. Im Rahmen von NachSpielZeit stehen das Beleben alter Möbel und das Nutzen von Pilzen in Do-it-together-Strategien der Architektur im Zentrum. Die MITKUNSTZENTRALE beschäftigt die Fähigkeit von Pilzen, Rückstände zu zersetzen und diese in anorganische Materie zu verwandeln. Mit Pilzen werden so aus baulichen Überresten neue Bau- und Verbundstoffe hergestellt.

Valeria Fahrenkrog, Marcos García Pérez, Erik Göngrich, Rahel Velia Jacob, Nora Wilhelm sowie Gäst*innen agieren als MITKUNSTZENTRALE. Die MITKUNSTZENTRALE im Haus der Materialisierung besteht seit 2019 und versteht sich als eine Zentrale der skulpturalen Gemeingüter, hergestellt durch künstlerische Praktiken des Recyclings von Materialien, Geschichten und Ideen. Sie untersucht und entwickelt mit diversen Partner*innen Materialkreisläufe für Rest- und Gebrauchtmaterialien, für Lebensmittel und Objekte. Die Gäst*innen bei NachSpielZeit sind: Rodney LaTourelle und das Institut für Biotechnologie – Fachgebiet für Angewandte und Molekulare Mikrobiologie der TU Berlin. mitkunstzentrale.de

Esther Ernst, Ortsbildpflege Fennpfuhl, Berlin, 2022

Die zeichnerische Installation Ortsbildpflege Fennpfuhl ist das Resultat intensiver Spaziergänge und Aufenthalte über mehrere Wochen im Fennpfuhl Viertel. Esther Ernst fixiert ihre Beobachtungen mit Text und Bild. Ihre Arbeiten nähern sich dabei den Methoden der kritischen Kartographie an, denn sie hält fest, was immateriell an einem Ort passiert, was sich abspielt, wie die Welt reagiert.  In ihrer Arbeit über den Fennpfuhl zeigt sie einen von ihr übersetzten, geschaffenen Raum von Notwendigkeiten, Träumen, Fehlplanungen, Gedanken, Spekulationen und abwegigen Gefühlen sowie Geschichten der Menschen, Pflanzen und Tiere.

Esther Ernst lebt und arbeitet in Berlin und Solothurn. “Zeichnen ist mein Zuhause. Die Welt beobachte ich fürs Leben gern. Leben, Zeichnen und Notieren befeuern sich fortlaufend wechselseitig. Ich brauche das Schreiben und Zeichnen, um zu verstehen, was um mich herum passiert, als Reaktion auf die Welt und mich selbst.” esther-ernst.com

Die Kurator*innen

Susanne Bosch

Künstlerin, artistic researcher, Schnittstellenakteurin, lebt in Berlin. “Kunst ist für mich eine Praxis, um über soziale, politische und historische Ereignisse in den Dialog zu treten sowie eine Schnittfläche, wo durch/mit ästhetischen Formen ein anderer Umgang mit den gegebenen Verhältnissen erprobt werden kann.” susannebosch.de

Georg Zolchow

Kurator, Projektmanager und Researcher aus Berlin mit den Schwerpunkten Kunst im öffentlichen Raum und partizipative Praxis. Georg arbeitet freiberuflich mit einer Vielzahl von Akteuren und Institutionen zusammen. Über mehrere Jahre arbeitete er bei der Plattform für zeitgenössische Kunst hablarenarte, Madrid.

 

Rolle + Aufgabe / Role + Tasks Susanne Bosch

In Zusammenarbeit mit Georg Zolchow: Begleitung und Supervision der Projektleitung von ÜBENÜBENÜBEN³, peer-to-peer Austausch, Critical Friend, Berichterstattung und Dokumentation des Prozesses, Interviews mit allen Teilnehmenden, Analyse zur Formatverstetigung ÜBENÜBENÜBEN³

Year

2022

Client

Bezirksamt Lichtenberg von Berlin

Projektleitung

Wiebke Volkmann

Status

abgeschlossen

Laufzeit / Duration

9. November 2022 - 23. Januar 2023

Category
Expertise & References, Moderation / Facilitation